Motivation in Zeiten der Verunsicherung
Die weitherum grassierende Krisenstimmung dämpft Unternehmungslust und Tatendrang. Wie können wir angesichts der aktuellen Unsicherheiten zur Freude am Tun zurückfinden? «Positives Denken allein genügt nicht», erklärt die Motivationspsychologin Prof. Dr. Brandstätter-Morawietz, «der Mensch braucht Ziele.»
Freude am Tun ist die wichtigste Antriebskraft, um gute Arbeit zu leisten und ein erfülltes Leben zu führen. Doch die vielfältigen latenten Bedrohungen, denen wir zurzeit ausgesetzt sind, machen es uns schwer, unsere Aufgaben lustvoll und energisch anzupacken oder gar Neues zu wagen – zum Beispiel eine eigene Zahnarztpraxis zu gründen. Wie können wir uns aus diesem Gefühl der Lustlosigkeit oder gar Niedergeschlagenheit befreien? «Ein erster Schritt kann darin bestehen, sich seiner Werte und seiner Überzeugungen bewusst zu werden», meint die Motivationspsychologin Prof. Dr. Veronika Brandstätter-Morawietz, «dazu gehört es, Antworten auf essenzielle Fragen zu finden: Was ist mir wichtig im Leben? Was will ich wirklich? Wo zieht es mich hin? Und dann geht es darum, sich konkrete Ziele zu setzen und die Teilschritte zu definieren, die mich dorthin führen.»
Absage an die Theorien der Ratgeberliteratur
Die renommierte Expertin auf dem Gebiet der Motivationspsychologie hält aufgrund der Forschung von Gabriele Oettingen, Professorin für Psychologie an der New York University, nichts von der in der Ratgeberliteratur seit Jahren und Jahrzehnten propagierten Technik des «Positive Thinking»: «Diese Vorstellung, dass es genüge, sich am Morgen vor den Spiegel zu stellen und sich einzureden, dass alles gelingen werde, was man sich vorgenommen hat, ist naiv.» Prof. Brandstätter: «In langjährigen Studien zu ihrer Fantasy Realization Theory (FRT) ist meine Kollegin zum Schluss gelangt, dass das alleinige Schwelgen in positiven Zukunftsfantasien nicht nur nichts bringt, sondern die Motivation unterminiert. Zum einen, weil wir mit dem imaginierten Erfolgserlebnis unsere Belohnung – also das Gelingen – in einem gewissen Grad vorwegnehmen. Neurophysiologische Studien belegen nämlich, dass die Imagination bestimmter Ereignisse ähnliche neuronale und affektive Muster erzeugt wie das reale Erleben. Zum anderen, und das ist wesentlicher: Wenn wir lediglich in imaginierten Erfolgserlebnissen schwelgen, sind wir uns der Hindernisse nicht bewusst, die sich uns auf dem Weg zum Ziel entgegenstellen. Entscheidend ist, dass es nicht bei Wünschen bleibt, die immer unverbindlich sind. Sie beflügeln zwar die Fantasie, aber erst wenn wir sie zu Zielen werden lassen, bewegen wir uns.»
Mentales Kontrastieren als Schlüssel zur Selbstmotivation
Die Motivationspsychologie misst dem Schritt vom Wunsch zur Festlegung eines Ziels ganz zentrale Bedeutung zu. Hierbei hilft die von Professorin Oettingen entwickelte Technik des «Mentalen Kontrastierens». Prof. Brandstätter: «Mentales Kontrastieren besteht darin, sich in eine imaginierte positive Zukunft zu versetzen, was uns Schub und Energie gibt, und uns gleichzeitig die möglichen Schwierigkeiten auf dem Weg zum Ziel vor Augen zu halten. So erkennen wir, welche Hindernisse wir mit angemessenem Aufwand überwinden könnten und welche nicht. Wir haben nun die Möglichkeit, uns von einem Vorhaben oder Ziel zu verabschieden oder uns mental auf die Überwindung der sich abzeichnenden Hürden vorzubereiten. Im zweiten Fall fassen wir eine sogenannte Implementierungsintention, also den konkreten Entschluss, bei einem Hindernis eine bestimmte Handlung auszuführen, die hilft, die Hürde zu überwinden. Wir haben uns mit den möglichen Hindernissen auseinandergesetzt und eine Strategie zu ihrer Bewältigung gefunden und können damit den Wunsch in ein realistisches Ziel überführen, das – vielleicht in Teilschritten – nun eher erreicht wird.»
Die Methode des Mentalen Kontrastierens trifft den Kern der Selbstmotivation und kann helfen, wichtige Vorhaben in den unterschiedlichsten Lebensbereichen – sei es beispielsweise im privaten Bereich die Gründung einer Familie oder im Beruf der Schritt in die Selbstständigkeit – mit dem guten Gefühl anzugehen, dass man sich bewusst ist, worauf man sich einlässt, um sich schliesslich mit Entschlossenheit einem Ziel zu verschreiben.
Motivation durch Selbstbestimmung
Geht es um die Motivation von Mitarbeitenden, bietet sich die von den US-amerikanischen Psychologen Edward L. Deci und Richard M. Ryan von der Universität Rochester entwickelte Selbstbestimmungstheorie an. Diese unterscheidet grob gesagt zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation. Bei der intrinsischen Motivation kommt die Motivation aus dem inneren Antrieb, bei der extrinsischen Motivation kommen die Beweggründe von aussen. Motivationsfaktoren sind hier Faktoren wie Belohnung oder die Vermeidung von Bestrafung.
Kernelemente der Mitarbeitermotivation: Autonomie, Kompetenz und soziale Einbindung
Bei qualifizierten Mitarbeitenden wie Praxis- oder Dentalassistentinnen spielt die intrinsische Motivation eine wichtigere Rolle. Im Zentrum stehen die drei Grundbedürfnisse Autonomie, Kompetenz und soziale Eingebundenheit. Prof. Brandstätter: «Mitarbeitende wollen sich nicht wie Figuren fühlen, die auf dem Schachbrett hin und her geschoben werden. Vielmehr wollen sie im Rahmen ihres Verantwortungsbereichs autonom agieren und ihren Anteil am Grossen und Ganzen wahrnehmbar machen. Das Gefühl, kompetent zu sein, steigert Arbeitszufriedenheit und Leistungsbereitschaft. Das dritte Grundbedürfnis der Selbstbestimmung ist die soziale Eingebundenheit. Gestärkt wird diese, wenn das Praxisteam wirklich als Team erlebbar wird. Die Mitarbeitenden sollen so weit wie möglich in die Entscheidungsprozesse mit einbezogen sein oder zumindest darüber informiert sein. Sie sollen das Gefühl haben, dass die Praxis und deren Erfolg ein gemeinsames Projekt ist, an dem alle ihren Anteil haben.»
Es gibt verschiedene Ansätze, um der durch die multiplen globalen Krisen ausgelösten Verunsicherung entgegenzuwirken, den eigenen Gestaltungswillen zu stärken und das Engagement der Mitarbeitenden zu fördern. Eine Grundbedingung muss allerdings erfüllt sein. Prof. Brandstätter: «Freude am Tun setzt voraus, dass wir uns Aufgaben widmen können, die mit unseren Werten, unseren inneren Überzeugungen, Fähigkeiten und Kompetenzen übereinstimmen oder dass zumindest ein hoher Grad von Übereinstimmung vorhanden ist.»